Bob Ezrin: „Die Typen, die dieses ‚Schwerlast-Heben‘ übernommen hatten und die jeden unter Vertrag genommen hatten, die großen Major Labels, waren immer weniger in das „steet level“ involviert. Weil alles was sie taten teuer war. Es war teuer aufzunehmen. Es war teuer zu Promoten. Es war teuer, das zu vermarkten und der Vertrieb war heftig, wisst ihr, sie mussten diese großen Platten über das das ganze Land verteilen, ein großes Land. Also erledigten die anderen, kleinen Typen buchstäblich die A&R-Arbeit (A&R Manager = Talentsucher einer Plattenfirma) und die waren dort draussen, wegen ihrer Leidenschaft für Musik, und ihr … wenn sie selbst keine Kreativen waren, dann waren sie doch die „Lovers“ der Kreativität. Sie waren die echten Amateure. Das kommt vom französischen Wort „aimer“ und bedeutet „Lovers“. (Genauer: mögen) Das ist es, was sie waren. Sie waren leidenschaftliche Amateure.
Und diese Leute namen alle unter Vertrag, die uns etwas bedeuten. Alle, an die wir jemals dachten, alle bei Motown Records. Schaut mal … ich treffe mich am Montag mit Barry Gordy (Gründer des legendären Motown Labels) um seine Lebensgeschichte zu machen. Und diese wird … wohl im Spotlight von Motown stehen, im Gegensatz zu den Schattenseiten. Das wird eine phantastische Geschichte. (Anmerkung: Hier bezieht sich Bob Ezrin natürlich auf den sehr großartigen Film „Standing In The Shadows Of Motown“, den jeder Musiker mal gesehen haben sollte; siehe Bandologie Linkliste, sowie Bandologie Buch Literaturverzeichnis.)
Also all diese phantastischen, unternehmerischen, künstlerischen, wundervollen Leute, die einfach „Lovers“ der (Kunst-)form waren und den Drang hatten, Aufnahmen zu machen. Die fanden alles an Talenten, die uns wichtig sind. An einem gewissen Punkt, als das Talent außerhalb eines Radius von 4 Häuserblocks erkannt wurde, dann stieg der Geruch auf, bis zur Ebene der Major Labels. Die zogen dann üblicherweise los, sie traten an die kleinen Labels, oder den Künstler direkt, heran, und lockten sie mit einem großen Scheck, ihren Vertrag zu verkaufen und bei ihnen zu unterschreiben. Mephistopheles (Mephisto; Teufelsfigur aus Goethes Faust) betrat dann jeweils den Raum [Gelächter], mit einem dicken Scheck und sagte [Bob Ezrin imitiert eine bedrohliche, tiefe Stimme]: „Komm mit mir, ich gebe dir Reichtum, jeneits deiner wildesten Träume.“ Und die Leute unterschrieben.
Einige von ihnen waren wahnsinnig erfolgreich. Ihre Lifestyles änderten sich. Sie wurden zu Sklaven ihrer neuen Meister, zu einem gewissen Grad. Einige waren in der Lage, die Situation zu überwinden und über ihre eigenen Karrieren zu bestimmen, allerdings sehr wenige. Sehr wenige. Die meisten von ihnen erlagen dem Druck des Business. Und das ist die Richtung, in die das Musikbusiness eine Weile lang ging. Und dann wurde es mehr und mehr hart umkämpft und es war nicht mehr gut, wenn man kratzige, [unverständliches Wort] Aufnahmen hatte, die in Hinterzimmern gemacht wurden. Und die Leute waren nun drauf und dran, ihr wisst schon, die Stereotechnik kam auf, und FM Radio (Frequenzmodulation, UKW Radio) kam auf und die Leute wollten besser klingendes Zeug. Mehr Produktion und so weiter. Und Studios wurden nun wieder wichtig. Und Konsolen wurden technisch sehr ausgeklügelt, und „Outboard Gear“ (offenbar Studio-Effektgeräte in einem Rack) kam um die Ecke, und Leute wie Larry Fast (erfolgreicher Musiker und Komponist, der viel mit Synthesizern arbeitete) mussten einen ganzen Raum voller Elektronik haben.
Es war nicht gut genug, nur ein Keyboard zu haben. Und plötzlich war es wieder sehr teuer, Platten zu machen. Auf einmal wurde das Musikbusiness wieder zu dieser ‚Schwerlast-Heberei‘. Und das hielt an, durch die späten 1960er, die 1970er, die 1980er, sogar bis in die 1990er und gewissermaßen bis heute. Als das dieses ‚Schwerlast-Business‘, ging es immer darum viel Geld auszugeben, um Zeug zu erschaffen, viel Geld auszugeben, um es zu vermarkten und es voranzutreiben und es (in die Läden) raus zu stellen, um eine Menge Geld zu machen. Und alles, was nicht viel Geld einfuhr, wurde sofort eingestellt, weil es zu teuer war, es weiterhin zu behalten.
Und Leute, die in dieser Zeit Verträge unterschrieben, hatten nichtmal einen dazwischenliegenden Schritt, sie hatten keinen … sie kamen nichtmal aus der Leidenschaft und der Kleinstadt, durch Sam Philipps (ehemaliger Besitzer der legendären Firma Sun Records; starb 2003), oder jemandem der sie liebte, oder sie als Künstler aufbaute, und mit ihnen arbeitete, und, wisst ihr, und ihnen einfach dabei half, ihre Träume wahr zu machen. Sie gingen direkt zu einem Major, weil Mephistopheles herbei kam, mit einem dicken Scheck in der Hand und sagte: „Ich mache es für dich möglich, ein Star zu sein,“ und sie gingen darauf ein. Sie unterschrieben direkt, sie gingen auf das Geld ein.
Und interessanterweise, ich war in so vielen dieser Meetings, und ich habe so viele dieser Deals den Bach runter gehen sehen, ich habe niemals einen Künstler aufstehen sehen und … üblicherweise, weil sie eingeschüchtert sind, aber auch, weil sie gewissermaßen so überwältigt von dieser Möglichkeit und dem Geld sind, das sie da nciht sitzen und sagen [er wechselt in einen ernsten Tonfall und spricht betont langsamer]: „Kann ich meinen kreativen Freiraum haben? Kann ich machen was ich möchte, wann ich es möchte?“ – „Nunja, natürlich nicht. Ich meine, wir haben hier ein Business am Laufen zu halten. Wir brauchen ein bestimmtes Produkt, wir brauchen es in einer bestimmten Zeit …“ Und dann gingen sie Kompromisse ein. Gingen Kompromisse ein, weil sie auf das Gold aus waren.
Das passierte 30 Jahre lang … über 30 Jahre. 30 Jahre lang Streben nach Gold, und keine Arbeit mehr mit leidenschaftlichen Amateuren. Sondern einfach eine Arbeit mit kaltherzigen Profis. Habt ihr mal den Begriff „Erbsenzähler“ gehört? Alles, was sich logisch begreifen lässt, ist wahr (Original: „Everything that connotes is true“), das sind buchstäblich Leute, die jetzt jedes Vierteljahr eine finanzielle Vorausplanung für jede dieser Firmen machen, und versuchen dabei herauszufinden, was sie verkaufen müssen, mit wem sie es verkaufen müssen, was diese Person machen müsste um es zu verkaufen und so weiter und so weiter. Der „Künstler“, in Anführungsstrichen, muss für sein Abendessen singen. Muss tanzen, im Einklang der Firma entsprechend, die ihn besitzt. Und ihr wisst ja alle, was passiert ist. Es ist einfach unglaublich, meiner Meinung nach.
Letzte Nacht war ich im Tribecca Club. Und ich habe mir eine Show im Tribecca Club angesehen. Kennt ihr ‚The School Of Rock‘? Ich habe mir die echte School Of Rock Aufführung angesehen, den echten Typen, Paul Green und seine Kids. Sie haben „The Wall“ aufgeführt. Und ich war im Publikum und habe mir das angesehen, ich … bei der Hälfte des ersten Sets, beim ersten Set nach der Hälfte, da war ein kleines Mädchen, ungefähr so groß [er zeigt die größe eines kleinen Kindes], kam auf die Bühne und sang „Mother“. Und sie war so ein kleines Teeny-Ding mit ihren Haaren hinter den Ohren, sie war eine von diesen kleinen „Troll Dolls“ (Spielzeugpuppe oder ähnliches), so süss, sie hatte eine kleine … und sie sang „Mother“, und ich sah mir nur diese Show an, nach dem Motto … und ich brach einfach in Tränen aus.
Es war das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Sie fragten mich, etwas zu sagen und daher sprach ich zu den Eltern, die im Raum waren, und sprach darüber, dass das Gefühl, diese Kinder an dem Tag performen zu sehen, sehr ähnlich dem Gefühl war, das ich hatte, als wir es fertig hatten. (Er meint, als Pink Floyd und er als Produzent gerade das Album „The Wall“ abgeschlossen hatten). Es war einfach pure Leidenschaft. Und es ging absolut nur um die Musik und die Performance und den Spaß dabei. Keines dieser Kids stand da, weil sie nach einem Vertrag suchten. Wisst ihr, was ich meine? Keines dieser Kids wurde gezwungen, da auf der Bühne zu sein. Naja, da waren ein paar „pushy“ Eltern im Publikum, aber in den meisten Fällen, war es ausschließlich Leidenschaft. Leidenschaft, Leidenschaft, Leidenschaft.
Also … aber da waren sie, diese kleiinen Kids, so zirka 9 und 10 Jahre alt und ich ging die Treppe runter um mit ihnen zu sprechen. Und ich sagte: „Mögt ihr das? Mögt ihr Leute das hier wirklich?“ Und die antworteten, nach dem Motto: „Yeah, weißt du, wir mögen das wirklich!“ – „Nun, was mögt ihr daran?“ Und sie sagten: „Wow, es sind die Worte, weißt du, die Worte sind so …. und die Musik, wir lieben die Musik und das Spielen und Machen …“ Sie waren wirklich leidenschaftlich bei der Sache. Sie liebten das wirklich. Haben sich da voll reingehängt. Also, dann fragte ich: „Okay, was ist euer Lieblingssong, jetzt gerade, „The Wall“ nicht mitgerechnet?“
Stille; sie mussten nachdenken. Dann kamen sie mit ein paar Sachen, Lindsay Lohan, ihr wisst schon, kleines Zeugs, kleine Mädchen und so Zeugs, was man so erwarten würde. Aber das war ein wirklich aufschlussreicher Moment. „Was ist euer Lieblingssong, jetzt gerade?“ Stille! Whoa, ihr wollt mich wohl auf die Schippe nehmen … das bedeutet, ich liege gar nicht so falsch. Ich habe nicht Unrecht, wenn ich das Radio einschalte und nach dem Motto: „Scheisse …“ [Gelächter und Applaus]
Was machen wir? Was machen wir?
Naja, wir jagen den Dollars nach. Momentan ist jede einzelne Plattenfirma, dieses Record Business von uns, dieses Business mit Platten, wurde so teuer, und so hitgetrieben, und es geht so sehr um den Endgewinn. Weil alle dieser Firmen jetzt aufgekauft wurden, von Firmen, die an der Börse gehandelt werden, oder werden selbst an der Börse gehandelt …
[Ein Handy im Publikum klingelt] Geh ruhig ran, wir warten. Vielleicht sind es die Kids? Sind es die Kids? Oh, ich sage dir, ich bin gerade … ich ziehe dich nur etwas auf.
Meine Frau rief mich mal mitten in so einer Vorlesung an und … ich machte eine in Alberte, an der Universität von Edmonton, und meine Frau rief mich mittendrin an, also nahm ich ab. Ich sag so: „Hi, honey! Ich gebe gerade eine Vorlesung. Alle mal „Hi Jan“ sagen und alle sagten: „Hi Jan!“ „OK, also, was gibt‘s?“ [Gelächter]
Also, wie auch immer, ihr wisst schon, worauf ich mit all diesem Zeug hinaus will. Die Industrie ist genau, was sie vorgibt zu sein: es ist eine Industrie. Es ist ein Business. Es geht um Geld. Darum, Dinge zu verkaufen. Es geht nicht um dich. Es geht nicht um deine Kunst. Es geht nicht darum, dich zu einem besseren Menschen zu machen. Und es geht auch ganz sicher nicht darum, dir dabei zu helfen, das zu kreieren, was du kreieren musst.
Es geht darum, das zu nehmen, was die Industrie in dir sieht, das möglicherweise kommerziell relevant ist, das so schnell wie möglich und so effizient wie möglich auszusaugen und es dann raus auf den Markt zu bringen, um es an so viele Leute wie möglich zu verkaufen. Und dann, weiterziehen. See ya. Bye. Das ist die Realität.“